Montag, 14. September 2009

Ambulatur nascitur, non fit oder vom Wandern und "wandern" - eine Tagebuchaufzeichnung

Draußen dämmert der Tag. Heute wird es wohl ein grauer Regentag werden. Es ist mir eine sehr sinnlich – sinnvolle Beschäftigung die Jahreszeiten zu beobachten, dies mit der Leidenschaft des Wanderers und den Augen des Landschaftsmalers zu verbinden. Erst wenn ich mit beiden Augen schaue, also mit den Augen des Wanderers als auch mit den Augen des Landschaftsmalers gelingt es mir Landschaft wirklich zu sehen und zu Erkennen. Auf meinen täglichen Wanderungen treffe ich manchmal Leute, die durch den Pfälzerwald "wandern". Dies ist ein ganz anderes Wandern als ich es übe. Sie fahren mit dem Auto an eine Stelle im Pfälzerwald und unternehmen einen kleinen Spaziergang. Dies ist ihr "wandern". Es ist ein großer Unterschied zu der Art zu Wandern wie ich es tue. Meine Art des Wanderns ist eine ganzheitliche Angelegenheit – ich wandere also bin ich – bei mir. Wandern ist keine Wissenschaft, obwohl dies inzwischen an der Universität Kassel gelehrt wird. Wandern ist eine Kunst und zum Künstler wird man geboren, wie der Volksmund es so schön ausdrückt, zum Wandern auch. Ambulator nascitur, non fit, ruft uns Henry David Thoreau zu. Er sagt uns weiter: "Man muss in die Familie der Spaziergänger hineingeboren werden:" Für die Tourismus Branche ist das "wandern" ein Riesenmarkt der ausgeschlachtet sein will und ökonomisch hart umkämpft wird. Diese Kapital bezogene Angelegenheit, hat den Vorteil das man mit der Landschaft nachhaltig umgeht. Nachhaltig allerdings nicht im Sinne von ökologischem Denken sondern ganz im Sinne eines kapitalorientierten Denkens.
Landschaft hat einen Markt und einen Preis, deswegen muss man sie schützen, verliert sie an Marktwert wird man alsbald damit beginnen sie zu betonieren um anderswertig Kapital aus ihr zu schlagen. Dieses Marktorientierte Denken unterscheidet zwischen Landschaft und Natur. Beides ist nicht unbedingt das selbe, obwohl es dasselbe sein sollte. Eine schöne Landschaft ist etwas das ich erhalten möchte weil es eine Geldquelle ist. Natur ist etwas das man schützen muss, weil wir immer weniger Natur besitzen.
Egal welches Wetter der Himmel uns schenkt, mindestens einmal am Tag bin ich im Pfälzerwald unterwegs, mit Ausnahme bei starkem Gewitter da sollte man auf seine Wandern verzichten. Dieses ständige draußen sein lässt mich Landschaft und Natur anders wahrnehmen, wie es jene wahrnehmen die halt nur einmal im Jahr "wandern". Ein wenig Geld verdiene ich auch mit dem Wandern, in dem ich regelmäßig Wanderungen anbiete. Dann wandere ich mit Menschen und spreche mit ihnen. Bekomme also einen Einblick in ihre Sichtweise von "wandern". Bald merken auch sie das es unterschiede in der Form von Wanderungen gibt. Wenn wir gemeinsam "wandern" dauert es ungefähr eine Stunde, manchmal etwas länger, dann gehen wir zu ganzheitlichen Wandern über, ohne das ich sie darauf hinweise, vielleicht tut die Landschaft dies. Sie öffnen sich als hätten sie zwei gute Gläser Wein getrunken und eine Hemmschwelle fällt. Es ist der Augenblick, wo man plötzlich bemerkt was Wandern wirklich ist. Emerson drückte es so aus: "Unser Glaube kommt in Augenblicken: unser Laster ist Gewohnheit. Dennoch ist in jenen kurzen Augenblicken eine Tiefe, die uns nötigt, ihnen mehr Realität als allen anderen Erfahrungen zuzuschreiben".
Im gewissen Sinne ist Wandern immer eine Art von Psychotherapie und Selbsterfahrung, seit zwanzig Jahren führe ich Wandergruppen und habe es nie anders erlebt, wir begeben uns beim ganzheitlichen Wandern in eine andere Bewusstseinsebene. Das ist die echte Macht des Wanderns, alles andere ist oberflächliches Spazieren gehen. Der leidenschaftliche Wanderer wird meistens sogar "vor Ort" wohnen. In einer Landschaft die er liebt, die er ganzheitlich erlebt und die sein Dasein prägt, dies ist die große Philosophie des Wanderns. Sie ist in ihm wie in einem Bildhauer, die geistige Skulptur innen ist, er arbeitet immer mit ihr.
Erstaunt war ich nun als mich ein Freund vor einigen Wochen, darauf Aufmerksam machte, das es eine Spaziergangswissenschaft gibt. Ich begab mich also auf Netzsuche und wurde auch fündig. Doch was ich fand enttäuschte. Es ist zweifelsohne für verschiedene Menschen recht interessant sich mit der Promendalogie zu beschäftigen, aber eben nur für den Spaziergänger, nicht für den Wanderer. Die Spaziergangswissenschaftler teilen auf ihrer Homepage mit das Landschaft nur im Kopf existiere, dies finde ich ist nur bedingt richtig. Landschaft existiert wohl zuerst im Kopf, doch während des "Akt des Wanderns", verlagert sich Landschaft immer mehr in den Bereich unseres Gefühlserlebens, diese Erfahrung mache ich immer wieder mit Gruppen. Für mich hat der Unterschied von Spaziergängern und Wanderern eine Verwandtschaft zum Unterschied der natura naturans und der natura naturata. Ich kann auch nicht Spinoza und Schelling gleichsetzen, obwohl beide viele Ähnlichkeiten in ihrer Philosophie haben. Bei meiner Art zu Wandern ist es zweifelsohne so das der Moment kommt da Wandern zu einem Mysterium wird. Zu einem Suchen und Finden in der Landschaft, zu einem der Weg ist das Ziel Projekt, Wandern hat gewisse Ähnlichkeiten mit Meditation. Wir bringen Bilder mit wenn wir los ziehen um eine neue Landschaft zu erwandern, doch das "Wunder des Wanderns" finde ich immer noch im "Verwundern", Verwundern im aristotelischen Sinne, ist hier gemeint. Es kommt der Moment, wo mir klar wird, das die Bilder, die ich über Medieneindrücke in mir gespeichert habe, gar nicht mit der Umgebung übereinstimmen. Gerade das "Über – nehmen" einer Landschaft ist immer der Veränderung unterworfen, Landschaft zu schauen ist immer phänomenologischer Prozess.
hukwa