Mittwoch, 30. Oktober 2019

Nirgendwo vom Noch-Nicht- der Möglichkeitsrealität

Wenn die Utopie auf ein ideales Leben weist,
ohne zum Plan...zur leblosen Maschine zu werden...
so wird sie tatsächlich die Verwirklichung des Fortschritts.
Marie Louise Berner

„Das einzige, was wir über die Lage von Nirgendwo wissen ist, dass es nicht da liegt, wo wir sind. Nirgendwo- das ist die Welt der Wünsche, der Träume, der Ideale“. Dies schrieb Wilhelm Liebknecht im Mai 1892 in seinem Vorwort zur deutschen Übersetzung von William Morris Roman „News from Nowhere“, den „Die Neue Zeit“ damals unter dem Titel „Kunde von Nirgendwo“ in Fortsetzungen veröffentlichte. Der Schauplatz dieser Handlung London scheint für Morris mehr von biographischer als von geographischer Bedeutung gewesen zu sein. Also: Nirgendwo kann auch Anderswo – Irgendwo sein.
Die Utopie ist die Welt des Noch – Nicht. Über die der Philosoph Ernst Bloch in seinem Werk „Das Prinzip Hoffnung“ schreibt: Das Alles im identifizierenden Sinne ist das überhaupt dessen, was die Menschen im Grunde wollen. So liegt diese Identität allen Wachträumen, Hoffnungen, Utopien selber im dunklen Grund und ist ebenso der Goldgrund auf dem die konkreten Utopien aufgetragen sind. Jeder solide Tagtraum meint diesen Doppelgrund als Heimat; er ist die noch ungefundene, die erfahrene Noch-Nicht-Erfahrung in jeder bisher gewordenen Erfahrung“.
Seit Plato in seinem „Staat“ den Träumen vom „Goldenen Zeitalter“ zum ersten mal eine literarische Form gab, finden wir in der Literaturgeschichte viele politische „Nirgendwo`s“. Schriftsteller und Dichter wie Plutarch, Aristophanes, Camapannella, Andrea, Bacon, Rabelais, de Foigny, Cabet, Bellamy schrieben ihre Utopien nieder.
Doch von all diesen Utopien finde ich „Die Kunde von Nirgendwo“ die beste. Als einzige basiert sie ausschließlich auf der individuellen Freiheit, was sie im Zusammenhang mit anderen Utopien zu einer deutlichen Ausnahme macht.
Morris hat eine Gesellschaft entworfen, in der die Regierung überflüssig geworden ist, denn diese ist nur die „Maschinerie der Tyrannei“ und wenn die Tyrannei ein Ende hat ist diese Regierung nicht mehr notwendig.
Der Mensch der weiß das er die Verantwortung für sich selbst trägt, braucht keine Politiker mehr die ihn verwalten und regieren. Nirgendwo das kann in uns selbst sein. Ein Ort, ein Land das in den Tiefen unseres Geistes verborgen ist.
Nach der Meinung von William Morris kann eine freie, gerechte und glückliche Welt nur dann entstehen, wenn die Menschen die Freiheit so stark wünschen, dass sie von ihrer Stärke Gebrauch machen und das alte System umwandeln.
In einer Zeit ökologischer Katastrophen, sozialer Ausbeutung und Kriegen, könnte es eine heilsame Übung sein, sich diesen Philosophen und Schriftstellern zuzuwenden, die von positiven Utopien träumten, die alles zurückgewiesen haben was ihrem Ideal von humanen Fortschritt nicht entsprach.
Und heute da es ein großes Potential des Widerstandes gegen die ökologische Ausbeutung gibt können utopische Wunschbilder zumindest Teil eines Möglichkeitsrealismus sein, ganz gleich wo man Nirgendwo sucht, es ist hier in unserer Welt verborgen. Utopien müssen nicht in Weltflucht und Tagträumen enden, sie können eine inspirierende Kraft werden auf dem Weg zu neuen, menschlicheren Gesellschaftssystemen.
William Mooris sagte:“Dies ist die Art von Gesellschaft, in der ich wohl gerne leben würde. Nun sagt mir, welches eure ist“. 

hukwa
 
Lit. Hinweise:
Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung, Seite 368.
Marie Louise Berner: Reise durch Utopia.
William Morris: Kunde von Nirgendwo.
Brigitte Wombs: Landschaft zwischen Ideal und Illusion.