Sonntag, 1. Februar 2009

Auszüge aus älteren Tagebüchern - Kindheit-


von Hans HUKWA Wagner

Mit alten Gedichten ist es wie mit alten ausgelatschten Schuhen, es ist bequemer sie wieder zu Lesen als nochmals zu schreiben. H.W. 2009


Gedichte schreiben hat für mich immer etwas mit Verneinung zu Tun, denn die einzige Form der Freiheit liegt darin die Verneinung zu leben. Hans Wagner 1989


Kindheit
da war niemand der mich zu Formen versuchte
keiner warf mich auf die Töpferscheibe der bürgerlichen Erziehung
im Sommer lief ich barfuss
im Winter beobachtete ich den Dompfaff
in der Dämmerung saß er aufgebläht im kahlen Kirschbaum
oft schlich die einäugige schwarze Katze um den Taubenschlag
wenn es im November schneite freute ich mich auf Weihnachten
im Schnee erkannte ich die Tierarten an ihren Spuren lange
bevor ich in der Schule Lesen und schreiben lernte
manchmal fand ich eine verhungerte Krähe
die ich in das Geäst einer Kiefer band
ich wusste nicht warum ich es tat
am liebsten war ich allein im Wald
der gleich vor der Haustür begann
totenstill kam mir der Wald im Winter vor
oft dachte ich der Tod ist eine Krähe im Baum
die irgendwann wieder wegfliegt
manchmal sah ich noch ganz andere Dinge
die ich hier verschweigen möchte
im Sommer sagte ich oft
heute Nacht schlafe ich im Wald
da war niemand
der mich versuchte zu Formen
manche fragten
was möchtest du einmal werden wenn du groß bist?
ich gab nie eine Antwort darauf
aber ich dachte immer
bestimmt nicht das was ihr seid.