Versuch der Deutung eines alten keltischen Schlüsseltextes
Urbarde bin ich dem Elfin,
Ursprungsland ist mir das Reich der Sommersterne
Ich heiße Merlin, und einst wird Taliesin
Mich jeder König nennen.
Mit dem Herrn war ich im höchsten Kreis
über Luzifers Fall zur Hölle.
Ich habe vor Alexander das Banner getragen,
ich kenne die Sternennamen von Nord nach Süd.
Ich war auf der Milchstrasse am Thron des Teilers,
ich war in Kanaan, als Absalom erschlagen ward,
ich betreute Gottes Geist in der Talniederung zu Hebron,
ich war am Hofe Dons vor Gudions Geburt,
ich war Lehrer dem Eli und dem Hennoch.
Ich erhielt die Schwingen des Genius vom glänzenden Bischofstabe,
ich war beredt, ehe ich redebegabt war.
Ich war am Ort der Kreuzigung des gnadenreichen Gottsohnes.
Drei Menschenalter war ich im Gefängnis Arianrods.
Ich war Bauleiter am Werk des Nimrodturms.
Ich bin ein Wunder von unbekanntem Ursprung!
Ich war in Asien mit Noah in der Arche
Und schaute die Vernichtung von Sodom und Gomorrha.
Ich war in Indien, als Rom erbaut ward,
hergelangt bin ich mit den letzten von Troja.
Ich war mit dem Herrn im Eselstall
Und stärkte Moses mit Jordanwasser.
Ich war mit Maria Magdalena vor der Himmelsfeste.
Ich erlangte Musenweihe aus Caridwens Kessel,
war ein Barde der Harfe zu Lleon von Lochlin.
Ich war auf dem weißen Berge am Hofe von Cynelyn
Tag- und Jahrelang in Stöcken und Ketten.
Ich habe Hunger gelitten für den Sohn der Jungfrau
Und wurde erzogen im Land der Gottheit.
Allem Geistigen wurde ich Lehrer,
imstand das ganze All zu lehren.
Also werde ich bis zum Tage des Urteilsspruches
Auf dem Antlitz der Erde sein,
unbekannt sei mein Leib Fisch oder Fleisch.
Dann war ich neun Monde lang
Im Schoß der hexe Caridwen,
ursprünglich klein Guidon bin ich endlich Taliesin.
Das Lied des Taliesin ist ein Schlüsseltext druidischer Metaphysik, der vorkeltische, keltische und nachkeltische Motive enthält. Taliesin ist ein Barde des 6.Jahrhunderts, taucht aber in seiner schriftlichen Form erst im 16.Jahrhundert auf. Taliesin ist der Hauptheld verschiedener keltischer Märchen, Legenden und Gedichte. Im berühmten „Red Book of Hergest“, findet man 58 Gedichte, die mit Taliesin in Verbindung stehen und die dort die Bezeichnung „The Book of Taliesin tragen.
Man kann davon ausgehen das es sich bei Taliesin um die Gestalt des Merlin handelt. Die keltischen Überlieferungen zeigen uns eine Reihe von Gestaltwechseln in denen die Dichter und Erzähler sich in andere Personen verwandeln oder sich an Reinkarnationen erinnern.
In der keltischen Tradition hieß dieser Prozess abred (ab = von, rhed= Weg) und bedeutet das alle empfindenden Wesen betreffende Prinzip der Entwicklung und des Vorwärtsschreitens.
Der englische Keltenforscher Edward Williams schreibt hierzu: „ Da es in jeder Art des Daseins ein besonderes Wissen gibt, welches den anderen Arten vorenthalten bleibt, ist es notwendig, dass wir jede Form des Daseins durchschreiten… ehe wir alle Arten des Verstehens erlangen, um schließlich alles Böse von uns zu weisen und uns dem Guten zu widmen“.
In diesem Sinne fügt sich der Prozess, der „Weg“, dem karmischen Gesetz der Entwicklung, zu dem die Reinkarnation gehört. Wir können es auch im aristotelischen Sinne Entelechie nennen. Dieser „Weg“ führt zwangsläufig durch die mineralische, pflanzliche und tierische sowie menschliche Stufen, auch wenn die anfänglichen Stadien schon vor Jahrtausenden worden durchschritten sein mögen, in Gefilden die unserem Sonnensystem vielleicht weit entfernt sind.
Das obige Lied wird auch das Rätsel des Hannes Taliesin genannt. Zweifelsfrei ist das Lied in der Form des Rätsels aufgebaut, doch bin ich mir sicher das dies zweitrangig ist. Das Lied oder auch Gedicht, drückt etwas sehr universelles aus, dies ist sein Inhalt, dies ist sein Sinngehalt. Es handelt sich um eine Selbstfindung- ein wiederfinden des verlorenen Selbst, ein Erwachen aus der Seinsvergessenheit.
Ranke Graves wurde durch dieses Lied so Inspiriert das er die „weiße Göttin“ schrieb, ich stimme Ranke Graves nicht immer überein, gestehe aber das er eines der tiefsten und schönsten Bücher über den Mythos schrieb das ich selbst sehr oft zur Hand nehme und das mich immer wieder fasziniert, weil es eine wunderbare Mischung aus Poesie und Wissenschaft darstellt.
Zweifelsohne stellt Hannes Taliesin eine Quest dar. Vor allem geht es dem Verfasser um das Unvergängliche, das Unsterbliche, das in ihm lebt und west. Von der Hexe Caridwen verfolgt und nach zahlreichen Abenteuern schließlich von ihr verschlungen, wird er wiedergeboren, was bedeutet sein individuelles Ich ist abgestorben und er ist als Selbst wiedergeboren worden. Taliesin will uns einfach darauf Aufmerksam machen das es etwas „Dauerndes“ im Menschen gibt, etwas das dem Menschen die Angst vor dem „Gefressen“ werden nehmen kann. Taliesin hält nicht fest an den Dingen sondern sein Halt ist das „Werden“, ähnlich dem
„werden“ des Heraklit. Oder mit Ovid gesprochen:
„Keinem bleibt seine äußere Gestalt, die Verwandlung aller Dinge, Natur, sie lässt aus dem
Einen das Andere werden.
Glaubt mir, nichts in der ganzen Welt geht wirklich zugrund,
es wandelt sich nur, erneut sein Gesicht.“
hukwa