Montag, 25. April 2011

Mit dem Rücken zur Wand – der Weg des Zen

Vielleicht ist das menschliche Leben eine Art Komposition, wenn dem so ist sollten wir es annehmen, mit all seinen Harmonien und Disharmonien. Erst durch das An-Nehmen können wir unsere eigene Totalität erfahren. Mit dieser Totalität vor Augen wird Meditation zu einer Reise in unsere ureigenste Existenz.

Es gibt viele Richtungen in der Meditation, alle Meditationswege zielen in ihrer höheren Stufe auf Erkenntnis hin. Es gibt das intellektuelle erkennen, die Logik, wie wir sie in der Schule erlernen. Es gibt aber auch das intuitive erkennen, eine Art Spürsinn, den wir durch Meditation in uns entwickeln können. Der Verstand wird immer ordnend und klärend in die Dinge eindringen, der letzte Sinn allerdings ist immer nur passiv erfahrbar. Er führt uns aus dem Vielfältigen zur Einheit, zur inneren wahren Gestalt hin. Das dies oft auch auf paradoxen Wege geschehen kann zeigt uns der Weg des Zen.

Die Widersprüchlichkeit des Zen ist auf die Tatsache zurückzuführen, das er sich mit etwas beschäftigt, was letztendlich unbeschreiblich und daher unerklärbar Ist. Dieses "etwas" liegt jenseits allen Denkens und kann nur durch unmittelbare Erfahrung verstanden werden. Im Zen arbeitet der Suchende mit einer Art von Metapher (Koan), die auf eine Wirklichkeitserfahrung deuten will, die jenseits von Worten und Gedanken liegt. Zen ist eine Meditationsschule, die wie das Wort aus Indien stammt, nach China kam dort den Taoismus aufnahm und von dort nach Japan gelangte, wo sich Zen bis heute aufs lebendigste entfaltet. Dort bildeten sich im Mittelalter die beiden Richtungen Soto und Rinzai aus. Man kann sie daran unterscheiden dass die Soto – Leute beim meditieren zur Wand hinsitzen, während die Rinzai – Jünger den Rücken der Wand zukehren und in Reihen ihrem Meister gegenübersitzen.

Zen beginnt beim Körper und der richtigen Körperhaltung, die immer wieder kontrolliert wird. Als Hilfsmittel dienen das zählen der Atemzüge, bei Rinzai auch das Koan, aber auch Schläge. Zen ist ein sehr hartes Training das um des Zieles willen – die Buddha-Erfahrung- auch Satori genannt – äußersten Einsatz verlangt. Durch das spezielle Sitztraining (zazen) bekommt der übende oft Beinschmerzen, im Zen sagt man hierzu lakonisch: Der Schmerz im Bein ist der Geschmack des Zen. In der Vollkommenheit der Lehre begegnet uns Zen immer in Form eines Meisters. Authentischer Zen ist immer ein Meister – Schüler Verhältnis.

In seinem Buch "Asien lächelt anders", beschreibt der Kulturphilosoph Jean Gebser, sein Treffen mit einem Roshi, einem "Großen Alten Meister" am Beispiel von Daisetz Suzuki, dem wohl bekanntesten Meister der Moderne:

"Suzuki... dem ich Jahre zuvor in der Schweiz begegnet war, hatte mich für einen Nachmittag in das Zen – Kloster des dortigen Tokeiji – Tempels eingeladen, in dessen Waldungen er ein schönes großes Haus bewohnte... Der "Doktor" kam behände eine kleine Treppe herunter, etwas nach vorn gebeugt, klaren Blickes, ungemein lebendig und wach. Er war nur wenige Stunden vor mir aus Tokio zurückgekehrt, wo er am Vortag trotz seiner einundneunzig Jahren einen Kongress geleitet hatte... Wir sprachen und schwiegen über Zen. Es war ein mehr metaphysisches Gespräch, dessen Inhalt hier... nicht interessiert. Ich erzähle von diesem Besuch aus einem anderen Grund. Da saß ich neben einem Asiaten, der eine Güte ausstrahlte, eine Heiterkeit des Herzens, der Seele und des Geistes, die in jedem Satz, in jeder Geste enthalten war. Dazu gesellte sich geistige Klarheit, blitzschnelles erfassen, ein geradezu abgründiges Verständnis für schwierige Probleme, eine Präzision der Definitionen, gepaart mit einer Weisheit, die über allem stand – alles Eigenschaften und Qualitäten, die man auch in Asien nur selten in einem Menschen vereinigt findet. Letztlich war er alledem bereits enthoben, blieb aber dennoch weltoffen und vermochte sich dem Mitmenschen... zuzuwenden."

Suzuki selbst schrieb einmal über Kontemplation folgend: "Irgendjemand hat bemerkt: Alles

Äußere sagt dem Individuum, das es nichts ist, während alles Innere es davon überzeugt, das es alles ist. Dies ist ein bemerkenswerter Ausspruch, denn jeder von uns hat dieses Gefühl, wenn er still sitzt und tief in die innerste Kammer seines Wesens blickt. In ihr regt sich etwas und flüstert ihm mit einer winzigen Stimme zu, dass er nicht vergebens geboren wurde. Irgendwo habe ich auch gelesen: Du wirst allein geprüft, allein gehst du in die Wüste, allein wirst du von der Welt gesiebt. Aber wenn ein Mensch in aller Aufrichtigkeit in sein Inneres blickt, wird er erkennen, dass er nicht einsam, hilflos und verlassen ist; in seinem Innern hat er das Gefühl einer herrlichen prachtvollen Einsamkeit, das Gefühl dass er ganz allein steht und doch von der übrigen Existenz nicht abgetrennt ist."

Suzuki war ein sehr kritischer Denker, vor allem wenn er die Wissenschaften und ihr einseitiges Denken, kritisierte::

"Diese Art, der Wissenschaft gegenüberzutreten, nenne ich die Methode des Zen, vor- oder über- oder sogar antiwissenschaftliche Methode.

Diese Art, die Wirklichkeit zu erkennen oder zu sehen, kann man auch triebhaft oder schöpferisch nennen. Während die wissenschaftliche Methode darin besteht, den Gegenstand zu töten, den Leichnam zu sezieren, die Teile wieder zusammenzusetzen und so zu versuchen, den ursprünglichen, lebendigen Leib wiederherzustellen, was in Wirklichkeit unmöglich ist, nimmt das Zen das Leben so, wie es gelebt wird, anstatt es in Stücke zu zerhacken und zu versuchen, es mit Hilfe des Verstandes wieder zum Leben zu erwecken oder in Gedanken die zerbrochenen Stücke wieder zusammenzuleimen.

Die Methode des Zen erhält das Leben als solches; es wird von keinem chirurgischen Messer berührt..."

Es gibt keine endgültige Antwort darauf was Zen eigentlich ist. Wer etwas tiefer in die Philosophie des Zen eingedrungen ist, wird bestätigen, das Zen obwohl eine recht alte Lehre, immer "modern", immer im Hier und Jetzt zu Hause ist. Der Hauptgrund ist wohl die Essenz des Zen, die nicht unbedingt auf einer niedergeschriebenen Lehre besteht, sondern einfach auf der ewigen Übung. Wesentlich ist allein das persönliche Erleben einer Antwort auf die Grundfragen menschlicher Existenz. Doch der Inhalt dieser Antwort ist dann so paradox, das diese von anderen oft überhaupt nicht nachvollzogen werden kann, er muss die Erfahrung selbst machen, will er verstehen. Zen sagt: Wer sich an den Verstand klammert, wird die Weisheit nie erkennen. Was bedeutet das sich der Übende im Suchen schnell verlieren kann. Man kann nicht finden was man nie verloren hat. Diese Welt ist das Nirwana; und wir selbst sind Buddha! Diese Botschaft kann man nicht über den Intellekt verstehen; nur im persönlichen Erlebnis, dem blitzartigen Akt der Erkenntnis wird sie zugänglich. Zen macht den Weg frei für das Einströmen, einer höheren dem Denken nicht mehr zugänglichen Wahrheit. Aber Zen ist auch nur ein Weg. Ein Weg der nicht für jeden geeignet ist. Wenn ich auf diesem Weg nicht vorankomme, dann sollte ich einen anderen Weg einschlagen. Schließlich gibt es viele Wege in der Meditation.

hukwa