Mittwoch, 15. Februar 2012

Die Schmerzgrenze - Ekstasen des Leidens und die Kunst als Katalysator

Wenn wir in den Tagebüchern und Briefen großer Persönlichkeiten in der Kunst, vor allem der Literatur lesen, kommen wir nicht daran vorbei, das wir bemerken werden das die Genies eigentlich, mit wenigen Ausnahmen, aus einem Haufen von Trunkenbolden, Verrückten, Drogensüchtigen und Schizophrenen bestand. Zählen wir doch einmal einige von ihnen auf : Hemingway ist einer der bekanntesten Fälle. Hans Fallada, Edgar Allan Poe,

Klaus Mann, Else Lasker-Schüler. Viele andere wie Kafka, Büchner, van Gogh erlagen sehr früh ihrem Leiden, weil es ihnen nie gelang die Ursachen ihrer Leiden aufzudecken. Für sie alle war das Schreiben eine Art Katalysator. Ja ich möchte behaupten, das der Ruhm von

van Gogh erst durch seine Briefe hervorgerufen wurde. Van Goghs Briefe sind ein unerschöpfliches Werk des Leidens. Ohne Zweifel war er einer der genialsten Maler aller Zeiten aber man wurde erst auf van Gogh " richtig " aufmerksam durch die Veröffentlichung seiner Briefe. Er hatte sein Leben lang an der Schmerzgrenze gelebt. Die

Tagebücher des großen Tänzers Waslaw Nijinskij sind vielleicht die qualvollsten der Literaturgeschichte überhaupt. Er war weder Trinker noch Drogensüchtig, er war dem Leiden verfallen. Uwe Johnson ist 1984, 49 jährig gestorben und unter Kollegen war es

" kein Geheimnis das der Schriftsteller seit langem Rettung beim Alkohol gesucht habe".

Jean Paul Sartre arbeitete Tag und Nacht. Um sich aufzuputschen, nahm er Drogen – ein

Röhrchen Dorydramine pro Tag, dazu Optalidol und um Nachts schlafen zu können, nahm er Schlafmittel. Es ist auch bekannt das Sartre den Whisky nicht gerade ablehnte.

Bei all diesen Künstlern steht das Leid – die Schmerzgrenze an vorderster Stelle. Künstler

und Künstlerinnen die so weit gingen, das sie ihr Leben auf dem Altar der Kunst opferten nur um ihre schöpferische Kreativität auszuleben. Als Karl May keinen Ausweg mehr aus der Kriminalität sah, begann er zu schreiben. Virginia Woolf brachte sich, nach zwei vorangegangenen Selbstmordversuchen, schließlich doch noch um. Rainer Werner Fassbinder erlag den Drogen. Die Liste derer die sich dem Drogentod bewusst hingaben

ist fast unendlich. Was mich übrigens auch aus eigenen Erfahrungen zu der Überlegung kommen lässt das Kreativität, Drogen und Geisteskrankheiten eine Art " Dreiergespann "

in der Kunst bilden. Die Schmerzgrenze war sozusagen schon immer der Rohstoff aus dem

die Kreativität entsprang. Allerdings glaube ich das es da eine Schwelle gibt. Die Schmerzgrenze in der Kunst ist eine Art " Grenze ", ein " Prüfstein ", der überwunden sein will, anders kann ich es mir nicht vorstellen. Schafft der Künstler es diese Grenze zu überwinden, fließt der Strom der Kreativität weiterhin ungestört. Schafft er es allerdings nicht, bleibt nur die " Endstadion Sehnsucht " um mit Tenesse Williams zu sprechen. Die bedeutet, der Zerfall der Persönlichkeit, der Weg in den Wahnsinn, die Suche nach dem Stoff aus dem die Träume sind.

Stephen King ist uns als Horror Autor mit Millionenauflagen bekannt. Fast alle seine Bücher

wurden zudem noch verfilmt, er ist ein Kultautor. In einem Interview sagte er einmal :

" Ich bin kein großer Künstler, aber ich habe immer einen Drang zum Schreiben verspürt. Ich brauchte das für meine geistige Gesundheit. Als Autor kann ich meine Ängste, Unsicherheiten und Albträume auf dem Papier dingfest machen. Meine Obsession lässt sich

vermarkten. Überall auf der Welt gibt es Verrückte in Gummizellen, die dieses Glück nicht haben."

Dies ist ein Kern jener Wahrheit die wir künstlerische Kreativität nennen. Wirkliche Kunst ist in gewissem Sinne immer auch eine Art religiöser Erfahrung. Mit dem Wort Religion möchte ich hier auf eine Art " Lebensform " ansprechen, also auf keinen Fall, eine Religion im gewöhnlichen Sinne.

Natürlich gibt es auch Künstler mit großem Genius die nicht dem Wahnsinn oder der Droge

verfallen waren. Dennoch hatten sie nicht auch eine Droge, die sie nutzten ? Das beste Beispiel sei hier der mystische Dichter William Blake. Blake war ein Seher, ein Visonär ebenfalls Yeats, aber " Normal " waren beide nicht. Was uns zu Denken geben sollte ?

Gibt es eigentlich " normale Künstler " oder gehört zur wirklichen kunst immer das Attribut

des Außergewöhnlichen, ja des Wahnsinns, der Entrücktheit, des Drogenkonsums ?

Was uns offensichtlich fehlt ist eine gründliche psychologische Abschätzung, der menschlichen Situation im Künstler. Was ist das Wesen des Normalbürgers und welches wesen besitzt der Künstler. Ist der Künstler normal oder abnormal ? Kann ein Künstler überhaupt unter normalen Bedingungen arbeiten oder braucht er die Schmerzgrenze zur

Aufrechterhaltung seines kreativen Flusses. Es ist ein Thema das voller Fußangeln steckt.

Und wenn man darüber schreibt dann bemerkt man sehr bald das die Sprache allein, hier nicht genügt als Instrument in die Geheimnisse der Künstlerischen Kreativität vorzudringen.

Ich persönlich glaube das es die Malerin Frida Kahlo fast geschafft hätte, einige dieser Geheimnisse aufzudecken, nämlich in ihrem " gemalten Tagebuch ", wäre die Malerin nicht in ihren letzten Jahren an das Krankenbett gefesselt gewesen, hätte sie die Möglichkeiten eines Gesamtkunstwerkes nutzen können; also auch der Schauspielerei, des Tanz und anderer Kunstrichtungen, wir wären Heute um vieles reicher, was die Schmerzgrenze der

Kunst betrifft.

Es kommt einem vor als ob diese Künstler alle in einem Labyrinth gelebt haben oder noch Leben und das Entkommen aus dem Labyrinth eine Art Bewusstseinsspaltung hervorruft, die das Leiden, eben die Schmerzgrenze beim Künstler gleichzeitig die Quelle der schöpferischen Kraft ist.

Was für viele Künstler die psychische Schmerzgrenze und somit auch oft der Griff zur Droge bestimmte, war bei der mexikanischen Malerin Frida Kahlo, der leibliche Schmerz.

Die Dramatik ihres Lebens, ihr Wille, zum Leben ist einmalig, in der Geschichte der Malerei,

vielleicht noch vergleichbar mit van Gogh. Mit 16. Jahren erkrankt Frida an Kinderlähmung.

9. Monate lag sie nur im Bett. Später erkrankte ihr Vater durch einen Sturz, wobei er sich einen Gehirnschaden zuzog und oft Anfälle von Bewusstlosigkeit bekam. Für Frida war der Vater mal " Tod ", mal " Lebendig ", am 17. September des Jahres 1925, gestaltete sich das Leben der Frida Kahlo endgültig. Mit 18. Jahren erlitt sie einen schweren Busunfall. Der

Bus in dem sie saß, prallte mit einer Straßenbahn zusammen. Frida fiel so unglücklich, dass sie von einer Eisenstange durchbohrt wurde. Doch dies war nicht die einzige Tragik ihres Schmerzes. Die Ärzte stellten fest, das Fridas Rückrat an drei Stellen im Beckenbereich verletzt ist. Ein Schlüsselbein und zwei Rippen sind gebrochen, das rechte Bein hat elf Brüche, der rechte Fuß ist ausgerenkt und zerquetscht, die linke Schulter ist ausgekugelt, das Schambein dreifach gebrochen. " Auf diese Weise ", meinte Frida später, " habe ich meine Unschuld verloren." Zwischen den Jahren 1930 und 32 musste sie sich mehrfach

einer Abtreibung wegen " ungünstiger Beckenlage " unterziehen, dazu kam noch eine Fehlgeburt. Frida Kahlo ist oft durch ihre Krankheit ans Bett gebunden. Im Krankenbett entstehen die meisten ihrer Bilder. Operation auf Operation folgt. Allein 1950 muss sich die Kahlo sieben Operationen unterziehen. Von nun an muss sie ständig ein Gipskorsett tragen. Monate später ist sie an den Rollstuhl gebunden. Frida Kahlo stirbt am 13. Juli 1954, wahrscheinlich wählte sie den Freitod. Dies ist nur die " skizzierte " Lebensgeschichte der Frida Kahlo. Das Leben dieser außergewöhnlichen Malerin war eigentlich nur drei Dingen gewidmet: der Liebe zu ihrem Mann Diego Riveras, der Malerei, und dem Glauben an die Verwirklichung des Sozialismus, Frida war eine Überzeugte Kommunistin, was in ihrem Werk immer wieder zum Vorschein kommt. Ein qualvolles Leben über die Physis weit hinaus, das Frida Kahlo führte. Und doch sie malte, malte und malte und schrieb. Ein Leben ganz der Kunst gewidmet. Das Jahr 1953 war jenes Jahr ihrer großen Einzelausstellung in Mexiko City. Diese Ausstellung war insgesamt eine " Ekstase des Leidens ". Lola Alvarez Bravo, eine Fotografin und Galeristin die Frida häufig fotografierte

und in ihrer Galerie " Arte Contemperano " in Mexiko City, Ausstellungen der Zeitgenössischen Kunst organisierte, vertrat die Ansicht, " das man bedeutenden Leuten

die ihnen gebührende Ehre zu ihren Lebzeiten zuerkennen lassen sollte, und nicht erst wenn sie bereits gestorben sind."

Offenbar ist ihr klar das Frida nicht mehr lange Leben wird. Am Tag der Eröffnung geht es Frida ganz besonders schlecht, so das die Ärzte von der Teilnahme abraten. Als die Malerin dann doch unter Sirenengeheul von der Ambulanz gebracht wird und auf einer Bahre zum bereitgestellten Himmelbett getragen wird, an dem grinsende Judasfiguren befestigt sind,

gerät ihr erscheinen zu einem erschütternden und zugleich grotesken Auftritt.

Andre Henestrosa beschreibt die Vernissage als typisch mexikanisches makabres Ereignis:

" Maria Izqueriedo trat herein, die von ihren Freunden und Familienangehörigen gestützt werden musste, da sie gehbehindert war. Sie beugte sich vor, um Frida auf die Stirn zu küssen. Goitia, ein weiterer mexikanischer Maler,, krank und zum Gespenst abgemagert, war aus seiner Hütte in Xochimilco in seiner Bauernkleidung und mit seinem langem Bart gekommen. Auch Rodriguez Lozanao war da, der zu der Zeit seine Wahnsinnsanfälle hatte.

Dr. Alt, war dabei, achtzigjährig. Er trug einen weißen Bart und bewegte sich auf Krücken, weil ihm kurz zuvor ein Bein amputiert worden war,weswegen er jedoch den Kopf nicht hängen ließ. Er beugte sich über Fridas Lager und lachte lauthals über irgendeinen Witz, der sich auf den Tod und das Sterben bezog. Zusammen mit Frida machte er Späße über sein amputiertes Bein und erzählte den Leuten, das es schon wieder wachsen und noch besser funktionieren würde als das erste. " Der Tod ", so sagte er, hat nur eine Chance wenn, man ihm immer wieder etwas vom Leben opfert. " Alles in allem war es eine Prozession von Ungeheuern wie bei Goya oder vielleicht auch noch mehr wie in der präkolumbianischen Welt, aus Blut Verstümmelung und Opfern.

Carlos Fuentes schrieb über Frida Kahlo, die schrecklichen und dennoch wunderbaren Sätze, die man als eine Art, " Ästhetik des Leids " auffassen kann : Im September des Jahres 1925 stieß eine Straßenbahn in den klapprigen Bus, indem Frida Kahlo saß, brach ihre Wirbelsäule, ihr Schlüsselbein, ihre Rippen, ihr Becken. Ihr durch die Kinderlähmung

verkümmertes Bein wurde elfmal gebrochen. Ihre linke Schulter blieb für immer ausgekugelt, einer ihrer Füße wurde zerschmettert. Eine Haltestange drang ihr in den Rücken und trat durch die Vagina wieder aus. Nach dem Aufprall lag Frida nackt und blutig auf dem Boden, aber mit goldenem Staub bedeckt. Ihrer Kleider entledigt, übersät von dem Goldstaub aus einem zerrissenem Päckchen, das ein Handwerker bei sich hatte : Kann es ein schrecklicheres und schöneres Porträt von Frida geben als dieses ? Wird sie sich je malen – oder wird sie sich anders malen können – als diese schreckliche Schönheit, vollkommen verwandelt ?

Der Schmerz, der Körper, die Stadt, das Land. Kahlo. Die Kunst der Frida Kahlo."

Wirkliche Kunst hat es immer zu tun mit dem ganzen der Welt, in ihrer ewig polaren Spannung zwischen Finsternis und Licht. Es war das persönliche Schicksal von Franz Kafka,

von Kind an in einem Labyrinth zu Leben. Ein Labyrinth für das der Dichter zeitlebens keinen Ausgang fand, im Gegenteil Kafka verfing sich immer mehr in diesem Labyrinth.

Das Labyrinth ist ein wirksames Bild für eine aus den fugen geratene welt. Es ruft die Mythe vom Labyrinth herauf, durch König Mythos von Kreta erbaut, um ein abstruses Monstrum den Blicken zu entziehen, den Minotaurus, den Mann mit dem Stierkopf, den die eigene Gattin des Minos zur Welt gebracht hat, nachdem die Götter sie mit der Liebe zum heiligen Stier geschlagen. Das Labyrinth, verhüllt Absurditäten. Kafka gehört jener sorte von Schriftstellern an, deren sehr schwer zu verstehendes Werk, man immer vor seinem Lebenshintergrund zu begreifen versuchen muss. Anders findet man keinen Zugang zu Kafka. Kafkas Konflikt mit dem Vater, die Angst vor der engen Beziehung an Frauen, die

absolute Vorherrschaft des Unbewussten – dies ist das Leitmotiv, der Zugang in das

Labyrinth, des Franz Kafka.

Kafkas Novellen und Erzählungen lesen sich wie ein abstruses Traumbuch und es sind Träume die wir oft in uns selbst wiederfinden. Handlungen die ins Nirgendwo verlaufen,

sich opfernde Personen die immer wieder auftauchen, Sprachbilder evozieren, die man im ersten Moment unmöglich nachvollziehen kann. Der Laie selbst steht vor Kafka, ohne diesen mit sekundär Literatur erkundet zu haben, eben vor einem Labyrinth, dahinein er keinen Zugang findet. Wer Kafkas Werk liest scheitert zu erst einmal an ihrem Wahnsinns

Inhalt.

Kafkas Erzählung " der Hungerkünstler " bildet wahrscheinlich den Höhepunkt seiner

literarischen Laufbahn und zugleich ist es eine der klarsten Definitionen seines Werkes.

Sie handelt von einem berufsmäßigen Asketen, der auf den Jahrmärkten für Geld hungert.

Zur Zeit seines größten Ruhmes als Hungerkünstler ist es stets sein Wunsch gewesen, auf unbegrenzte Zeit weiterzufasten, denn niemals war er an der Grenze seiner Ausdauer angelangt, wenn man ihn nötigte, das Fasten abzubrechen. Als das Interesse des Publikums an seinen Hungerkünsten schwindet, wird ihm schließlich ein Gitterkäfig in einer

entlegenen Ecke des Jahrmarktes zugewiesen; dort sitzt er vergessen auf seiner Strohütte

und kann nun so lange hungern, wie er mag. Er wird darüber völlig vergessen, so das eines Tages jemand seinen Käfig bemerkt und fragt, warum man einen so gut brauchbaren

Käfig unbenutzt stehen lasse; man sieht hinein und findet den Hungerkünstler im Sterben, zum Skelett abgemagert. Als sein ende kommt; flüstert er einem Aufseher sein Geheimnis ins Ohr: er habe nicht etwa ungeheure Willenskraft aufgebracht, um sich der Nahrung zu enthalten, sondern er konnte einfach nicht die " Speise finden die ihm schmeckte".

hukwa