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Es gibt
keinen Zufall:
und was
blindes Ungefähr uns dünkt,
gerade das
steigt aus den tiefsten Quellen.
Freidrich von Schiller
Ein
Schopenhauer Zitat in Die Welt als Wille und Vorstellung - §54
– lautet:
„Vor Allem
müssen wir deutlich erkennen, dass die Form der Erscheinung des
Willens, also die Form des Lebens oder der Realität, eigentlich nur
die GEGENWART ist, nicht Zukunft, noch Vergangenheit: diese sind nur
im Begriff, sind nur im Zusammenhange der Erkenntnis da, sofern sie
dem Satz vom Grunde folgt. In der Vergangenheit hat kein Mensch
gelebt, und in der Zukunft wird nie einer leben; sondern die
GEGENWART allein ist die Form alles Lebens, ist aber auch sein
sicherer Besitz, der ihm nie entrissen werden kann...Wir können die
Zeit einem endlos drehenden Kreise vergleichen: die stets sinkende
Hälfte wäre die Vergangenheit, die stets steigende, die Zukunft;
oben aber der unteilbare Punkt, der die Tangente berührt, wäre die
ausdehnungslose Gegenwart; wie die Tangente nicht mit fortrollt, so
auch nicht die Gegenwart, der Berührungspunkt des Objekts, dessen
Form die Zeit ist, mit dem Subjekt, das keine Form hat, weil es nicht
zum Erkennbaren gehört, sondern Bedingung alles Erkennbaren ist“.
Nach
Schopenhauer sind Vergangenheit und Zukunft also nur eine Art Kompass
oder Richtschnur um sich in der Zeit zurecht zu finden, um sie zu
Deuten. Die Zeit ist das Haupthema innerhalb der Methaphysik.
Die
ältesten uns bekannte Aufzeichnungen der Philosophie – die
Fragmente – der Vorsokratiker, haben als wesentliches Thema den
Zeitbegriff.
Heraklit
aus Ephesus (etwa 500 v. Chr.) meinte das „es unmöglich ist
zweimal in den selben Fluss hineinzusteigen“ und sagte damit aus
dass es keine identische Wiederholung gibt, denn wenn wir ein zweites
mal in den Fluss steigen hat die Zeit dafür gesorgt, das schon
wieder neues Wasser nach geflossen ist.
Der
nah Thales wahrscheinlich älteste bekannte griechische Philosoph
Anaximander aus Milet
(610
v. Chr.) hat eine andere Auffassung von Zeit, von der sich Platons
kreisförmige Ordnung im Timaios ableiten könnte, Anaximander sagte:
„Aus welchen (seienden Dingen) die seienden Dinge ihr
Entstehen haben, dorthin findet auch ihr Vergehen statt, wie es in
Ordnung ist, denn sie leisten einander Recht und Strafe für das
Unrecht, gemäß der Zeitlichen Ordnung“.
Nach
Platon (428-348 v. Chr.) sind die Dinge die wir wahrnehmen, nichts
anderes als unvollständige Kopien, Spiegelungen von Ideen, die in
einer übersinnlichen Welt außerhalb von Raum und Zeit ein
selbstständiges, nur durch das reine Denken erfaßbares Dasein
führen. Es sind dies die ewigen Muster und Vorbilder, die wir nie
vollständig erfassen können, die aber dennoch reale Bedeutung
haben.
Über
eine übersinnnliche Welt außerhalb von Zeit und Raum berichtet uns
kein Geringerer als der große Historiker Arnold Toynbee in seinem
zwölfbändigen Werk A Study of History. Toynbee
erzählt hier wie ihm die Idee kam, dieses Werk zu schreiben und
spricht dabei von dem gefühl der „Wirklichkeit“, das den
Historiker manchmal überfällt und ihn auf eine Art „Zeitreise“
gehen lässt:
„Der
Verfasser vorliegender Studie hatte einmal ein authentisches Erlebnis
dieser Art. Es war am 23. Mai 1912, und er saß, in Gedanken
versunken, auf der Höhe der Zitadelle von Mistra, wo die steile
Mauer des Taygetos-Gebirges den Hotizont im westlichen Quadranten des
Kompasses, dem er sich zugewandt, begrenzte und gegenüber, im
östlichen Quadranten des Kompasses, das offene Tal von Sparta sich
erstreckte, von wo an diesem Morgen sein Weg ihn vorbeigeführt
hatte...
Der
sinneseindruck, der seine historische Einbildungskraft belebte, war
nicht der Klang liturgischer Gesänge; es war der Anblick der Ruinen,
an denen vorbei er sich seinen Weg zur Anhöhe hinauf sich gebahnt;
und dieser Anblick war schrecklich, denn in dieser zerstörten
Sagenstadt war die Zeit stille gestanden seit dem April des jahres
1821, in dem Mistra verwüstet wurde...Eines Aprilmorgens war wie aus
heiterem Himmel eine Horde wilder Hochlandbewohner aus dem Mani über
sie hergefallen. Ihre Bewohner mussten um ihr Leben laufen, sie
wurden auf der Flucht ausgeraubt und erschlagen; ihre verlassenen
Häuser wurden geplündert; und verlassen lagen die Ruinen bis zu
jenem Tag...“
Es
war das „grausame Rätsel menschlicher Torheiten und Verbrechen“
die Toynbee erschreckten aber auch die „absolute Wirklichkeit“
der in seiner Einbildung entstandenen Szenen. Aber das
„Mistra-Erlebnis“ war nicht das einzige Erlebnis dieser Art,
immer wieder wurde er von historischen Begebenheiten und er hatte
dabei das Gefühl anwesend zu sein. Erlebnisse also die ihn über
Zeit und Raum hinweg in andere Wirklichkeiten führten. So schreibt
er:
„Bei jedem
dieser...geschilderten Anlässe geriet der Verfassser in eine, wenn
auch nur flüchtige Gemeinschaft mit Personen, die an einem
bestimmten historischen Ereignis mitgewirkt hatten – und zwar
dadurch, dass das Schauspiel unverhofft seine Phantasie zu fesseln
begann.
...Bei
anderer Gelegenheit jedoch wurde ihm eine noch größere, seltsamere
Erfahrung zuteil. Es war in London, an einem Nachmittag nicht lange
nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, als er sich auf der Südseite
der Buckingham Palace Road, auf dem Bürgersteig vor der Victoria
Station ausschreitend... nicht in Gemeinschaft mit einer oder der
anderen Epoche der Geschichte befand, sondern mit allem, was einst
gewesen, was heute war und was dereinst sein würde. In diesem
Augenblick gewahrte er unmittelbar den lauf der Geschichte, die ruhig
wie ein breiter Fluss vor ihm hinströmte, und auch sein eigenes
Leben, das wie ein Wellchen in dieser unermeßlichen Flut
plätscherte. Das erlebnis dauerte lange genug, um die zur Linken
zurückweichende edwardianische Ziegelfassade und die weißen
Sandsteingesimmse des Bahnhofs visuell zu registrieren und sich halb
verblüfft, halb verwundert zu fragen, wie es zugehn mochte, dass
diese unsinnnig prossaische Szenerie den physischen Rahmen einer so
geistigen Erfahrung abgab. Im nächsten Moment war die Verbindung
unterbrochen, und der Träumer fand sich in der alltäglichen
Cockney-Welt wieder, die sein gewohntes Milieu war...“
Diese
Erinnerungen des großen Historikers Arnold Toynbee gehören zu den
anschaulichsten Berichten von Überwindungen der normalen Zeit-Raum
Wirklichkeit, einer Art Transkommunikation zu einer Ebene jenseits
von Zeit und Raum, die sich in unsere Realität hinein entfaltet.
Erwin Schrödinger sagte einmal: „Bewusstsein ist ein
Singular, desssen Plural
wir nicht kennen“. Man könnte
auch sagen: wo Metaphysik zur Erfahrungswissenschaft wird, wird
Mystik eine Sache des Wissens. Es existiert anscheinend im Menschen
etwas dass die Grenzen der Realität überwinden kann.
Literaturhinweise:
Arthur
Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung.
Diels/Kranz:
Fragmente der Vorsokratiker.
Arnold
Toynbee: A Study of History.
Mathias
Bröckes: Nachrichten aus dem Untergrund des Übernatürlichen.
hukwa