Freitag, 21. November 2008

"Schwätzt vom Himmel- Ihr entweiht die Erde!"

Ein Essay über Henry David Thoreau von Hans Wagner

Die Schönheit der Wälder Neuenglands haben Henry David Thoreau in einen wahren Rauschzustand des Schreibens versetzt. Dieser Zustand eines kosmischen Bewusstseins gipfelt in Thoreaus Hauptwerk „Walden or the Life in Woods“ das man zweifelsohne zu den Grundbüchern der Menschheit rechnen kann. Ebenso wichtig wurden seine drei Wanderfahrten durch die Wälder von Maine (1846, 1853, 1857). Seine Berichte über diese Unternehmungen in den „Maine Woods“ gehören zu den unvergänglichen Predigten über den Wald.
„Hier hatte Natur etwas Wildes und Entsetzliches, aber auch eine herrliche Schönheit. Mit Ehrfurcht betrachtete ich den Boden, auf den ich trat; welche Mächte mochten ihn geschaffen haben, seine Form und Gestalt; welche Stoffe mögen sie zu ihrem werk gebraucht haben? Das war die Erde, von deren Geburt man uns erzählt hatte, gewoben aus Chaos und Urmacht. Niemals gab es hier einen menschlichen Garten, nur unberührte Erde. Niemals gab es hier Rasen, Weide, Gehölz, Brache, Acker und Wüstenei. Hier war immer die frische und natürliche Haut der Erde, für Ewigkeiten geschaffen.“
Nur die alte Menschheit passt zu dem Planeten. „Die Erde war ein Ort für Heidentum und Aberglauben; sie wurde bewohnt von Menschen, die den Felsen und Wildtieren näher verwandt waren als wir“. Thoreau dessen Blockhütte „an einer entlegenen, ewig jungen, jungfräulichen Stätte des Universums lag“, war überzeugt davon, dass die Natur keinen Einwohner hatte, der sie zu würdigen wisse.

Es ist die Urmelodie der Natur die uns Thoreau vorsummt: „Ich bin nicht einsamer als eine einzelne Königskerze, als ein Löwenzahn auf dem Wiesengrund, als ein Bohnenblatt. Als Sauerampfer, Pferdefliege oder Hummel. Ich bin nicht einsamer als der Mühlenbach, der Wetterhahn, der Nordstern, der Südwind oder ein Aprilschauer, ein Tautag im Januar, nicht einsamer als die Spinne im neuen Haus“.
Am 4.Juli 1845, dem Nationalfeiertag, bezieht Thoreau solch ein neues Haus. Eine selbstgebaute Blockhütte auf einem Grundstück am Waldensee das ihm sein Freund der amerikanische Philosoph und Transzendentalist Ralph Waldo Emmerson zur Verfügung stellte. Die wohl einzige verwirklichte Sozialutopie der Menschheitsgeschichte nahm hier ihren Anfang. Thoreau bewohnte seine Hütte mit kleinen Unterbrechungen bis zum 6.September 1847. Seit Platon in seinem Staat den Träumen vom goldenen Zeitalter und von idealen Gesellschaften zum ersten mal eine literarische Form gab, folgten viele Utopien, doch keine wurde letztendlich auch umgesetzt, außer Thoreaus „Walden oder Leben in den Wäldern“.
Wer die Geschichte der Utopien von Platon, Plutarch, Aristophanes bis hin zu Morus, Bacon und Bellamy, etwas kennt, der weiß das es zwei Hauptrichtungen des utopischen Denkens gibt: Die eine sucht das Glück der Menschheit im materiellen Wohlstand, dem Aufgehen der menschlichen Individualität in die Gruppe und der Größe des Staates. Die andere fordert zwar auch ein gewisses Maß an materieller Bequemlichkeit, betrachtet aber das Glück als ein Ergebnis der freien Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit, die nicht einem willkürlichen Moralkodex oder den Interessen des Staates geopfert werden darf. Hierhin gehört „Walden“.

Emerson schrieb einmal treffend über Thoreau: „Er zog es vor, reich zu sein, in dem er seine Bedürfnisse beschränkte“. Thoreau selbst drückte es so aus: „Die bemitleidenswerteste Klasse sind die Menschen, die Geld angehäuft haben und nichts Besseres damit anzufangen wissen, als neues Geld aufzuhäufen…“.
Für Thoreau gab es keine Kirche, keine Partei er war Vertreter einer pantheistischen Naturreligion und deren erster Hohepriester. Er nannte sich selbst einmal „selbstangestellter Inspektor der Schneestürme und Regenschauer“. Und es war zweifelsohne diese Bedürfnislosigkeit, die er Zeit seines Lebens auch lebte, die ihm genügend Muse schenkte, ein Leben ganz der Natur gewidmet, in einer universellen Dimension auch praktisch zu Leben.
„Home cosmography“ betreibe er. Um die Wunder der Natur zu entdecken, brauche man keine Expeditionen in unerforschte Gegenden der Erde zu unternehmen, sondern könne sich mit der Hinwendung an die Fauna und Flora der eigenen Heimat begnügen – nicht weil dies bequemer und billiger sei, sondern weil das unermessliche Wunder des ganzen Kosmos in der geringsten Naturerscheinung präsent und erfahrbar sei. Thoreau der in einem kleinen Städtchen Weltliteratur schrieb und in den Wäldern von Concord Kosmologie betrieb, wird erst richtig verstehbar, wenn man sich auch ein wenig mit dem Neu- England Transzendentalismus auskennt, der ja seine Lebensphilosophie entscheidend geprägt hat.
„Die Natur, so hatte sein Lehrmeister Emerson in dem wegweisenden Essay gesagt ist die Offenbarung des immateriellen Seinsgrundes, der Allseele . Diese Auffassung hatte Emerson vor allem unter dem Einfluss der sogenannten Korrespondenzlehre Emanuel Swedenborgs entwickelt, wonach jedes Naturphänomen symbolisch eine exakt bestimmbare spirituelle Botschaft verkündet. Weil sich theologisch gesprochen nach transzendentalistischer Überzeugung in der Natur Gott oder die Göttin selbst immer wieder neu offenbart, wird die Erforschung der Natur zur Entdeckung des göttlichen Urgrundes und – da jede menschliche Seele ein Teil der Allseele ist – zugleich zur Erkundung des geistigen Wesenskern des Menschen. Daher hatte Emerson die These vertreten: „Die alte Aufforderung >Erkenne dich selbst!> und die moderne Aufforderung >Erforsche die Natur!> konvergieren letztlich zu derselben Maxime.
„Der Lehm im Hohlweg schmilzt und fließt, in der Sonne glänzend, herab. Ich bin es der da taut…“.
Wenn Thoreau Natur sagt, spricht er gleichzeitig auch vom Mythos, er dichtete als Erdgeist, die Erde als Schauplatz allen Geschehens. Thoreau trennt nie wie der Naturwissenschaftler zwischen Subjekt und Objekt, er schmilzt förmlich in der Natura naturans der Mutternatur.
Tief ist diese schaffende All – Natur in ihm verankert: „Ich lebe am Rande einer Welt, in die ich gelegentlich kurze Raubzüge unternehme, und meine Vaterlandsliebe, meine Bindung an den Staat, auf dessen Territorium ich mich danach wieder zurückziehe, ist die eines Strauchdiebes. Um ein Leben zu erlangen, das ich als natürlich bezeichnen könnte, würde ich sogar einem Irrlicht durch schreckliche Sümpfe und Moore folgen, aber weder der Mond noch ein Glühwürmchen haben mir je den Weg dorthin gewiesen. Die Natur ist ein so riesiges und allumfassendes Wesen, dass wir ihr Antlitz nicht einmal ansatzweise erkennen können.“