Freitag, 12. Dezember 2008

Das Antlitz der Natur


von Hans Wagner

Mein ganzes Leben lang habe ich mich der Natur verbunden gefühlt, dieses Gefühl zu ihr war tatsächlich so etwas wie ein Muttergefühl. Ihre Gegenwart war für mich wirklich, lange bevor ich etwas über ihre biologischen Gesetze wusste. Damals handelte es sich um die unvoreingenommene und dennoch klar umrissene Wahrnehmung des Wesens der Natur, gesehen mit den Augen eines Kindes, dessen Herz für die kleinen Wunder am Waldesrand schlug.
Wenn ich Heute zurückblicke, fällt mir auf, dass ich seit meiner frühesten Kindheit – etwas – in den verborgenen Formen der Natur, ebenso wie in ihren sichtbaren Aspekten gesehen habe.
Es war ein Spüren, ein Ahnen auf ein Werdendes. Das Wissen um eine Metamorphose ohne das ich dieses Wort damals gekannt hätte. Wie sollte ich auch? Die schönen und verschwenderischen Vielzahl ihrer Gestaltungen, bildete die Quelle für einen wirklichen Sinngehalt meines Lebens, und ich habe stets eine enge Verwandtheit mit den Abkömmlingen der Natur verspürt – mit Tieren, Felsen, Pflanzen, Wiesen, Quellen mit allem was uns die große Erdmutter schenkt. Ich verlor mich schon früh im Beschauen der Wolken und Sternen, im Ahnen unendlicher Galaxien im nie endenden Universum. Kein Freund, kein Guru, kein Lehrer hat mich dies gelehrt, vielleicht ein Paar Bücher haben mir dabei geholfen, aber letztendlich war es einfach eine "Gewissheit" die mich mit diesen "Dingen" verband, eine Gewissheit die mir sagte, dieser wunderbare Kiesel und der mächtige Baum dort drüben und du selbst sind letztendlich Eins. Dieses großartige Gefühl Mietglied der großen Schöpfung zu sein, das uns allen in der Kindheit latent zu eigen ist, aber bei fast allen verloren geht, wenn wir erwachsen werden, ist mir erhalten geblieben. Eines der schönsten Erlebnisse meiner Kinderzeit, das ich bereits in zwei Büchern nebenbei geschildert habe, möchte ich hier wiedergeben: "Als Knabe hatte ich einmal ein seltsames Erlebnis mit einem Fliegenpilz.
Ich saß unter einer großen mächtigen Fichte in einem wunderschönen bemoosten Tal. Es war Frühherbst, der moosige Boden atmete im Tau des frühen Morgen und Tausende goldener und silberner Spinnweben verzauberten den Morgenwald. Ich schwänzte mal wieder wie gewöhnlich die Schule und fühlte mich sehr behaglich bei dem Gedanken an meine pflichtbewussten Mitschüler, die nun in der Schule saßen, eingeengt wie in einer Sardinen Dose. Direkt vor mir wuchs ein wunderschöner Fliegenpilz, er gefiel mir so gut das ich ihn wohl sehr lange anstarrte. Mit einem mal regten sich in mir Gedanken wie ich sie nie zuvor Denken konnte. Ich wollte so sein wie dieser wunderschöne Pilz, der hier lebte in seiner einzigartigen Gestaltung. Warum konnte ich nicht ein Leben lang an diesem einzigartigen Platz verweilen, den Liedern der Vögel lauschen, die Rehe und Hasen friedlich beobachten,
dem gleitenden Flug des Bussard und Reihers erschauen, warum musste ich zurück in diese profane Welt, eine Welt die vorwiegend bevölkert ist mit Menschen denen jeglicher Bezug zur Natur fehlt? Vielleicht bin ich auf der verkehrten Ecke dieser Welt geboren worden? Jener Tag in meinem stillen Waldtal meiner damaligen Heimat hat mich bis aufs tiefste geprägt. Ich glaube heute rückblickend sagen zu können damals ging eine Neue Welt für mich auf doch eine andere unter. Dieses in der großen Gemeinschaft mit Baum, Stein, Tier und all den anderen Wesen die hier leben, in einem ganzheitlichen Sinn zusammen zu sein, hat mich bis heute nie wieder losgelassen. Damals hat sich mir das Antliz der Natur enthüllt, nie wieder hinter her habe ich mich der alten Mutter so nahe gefühlt und ich bin überzeugt eine solche Begegnung hat man nur einmal im Leben, aber man kann ein Leben lang davon Leben.
April 1999