Montag, 9. Mai 2011

Heimatkunde und Geschichtsbewusstsein Teil 2.

„In Rom, Athen und bei den Lappen,

da spürt man jeden Winkel aus,

indes wir wie die Blinden tappen

daheim im eigenen Vaterhaus.“

Karl Simrock

Die Heimatkunde berührt durch die Erfassung der Beziehungen des Menschen zu seinem Lebensraum fast alle Wissensgebiete, nicht nur die Geschichte. Sie ist keine Einzelwissenschaft, sie fasst jedoch die einzelnen Wissensgebiete unter einer ihr eigenen Blickrichtung auf einen bestimmten Raum- und Zeitabschnitt zusammen, der allerdings je nach Beschauer wechselt. Zunächst ist es der Heimatraum selbst, dem sich der Heimatkundler zuwendet. Von ihm gehen die ersten und stärksten Impulse aus. Je eifriger ihn der Heimatkundler durchstreift, je intensiver er sich dadurch die heimatliche Landschaft erschließt, je tiefer er von seiner Mitte aus in sie eindringt, umso mehr öffnet sie sich ihm und gewährt ihm immer weitere, immer tiefere Einblicke in ihr Wesen und Werden. Ausgehend von den Geländeformen, nach denen er sich orientiert, steht er eines Tages vor der Frage, wie das wohl alles geworden ist, vor der Frage des Entstehens und Aufbaues der Landschaft seiner Heimat. Hegel schrieb einmal: „Philosophie ist ihre Zeit, in Gedanken erfasst“, nun, wir leben ja die meiste Zeit an jenem Ort den wir Heimat nennen und von diesem Ort aus bewegen wir uns in die Welt hinaus, von diesem Ort aus den wir Heimat nennen versuchen wir das Ganze zu erfassen, über die Heimatgeschichte erfassen wir also auch Weltgeschichte.

Für die meisten Menschen hat Heimatkunde oft etwas altbackenes und spießiges an sich. Nun, gewiss kann dem so sein, es kommt einfach darauf an wie wir uns der Heimatkunde nähern.

Ein Beispiel: In den vergangenen Tagen habe ich einige Artikel über alte Waldberufe im Pfälzerwald geschrieben. Diese Serie ist sehr heimatkundlich verfasst, schließlich fällt dies ja auch in das Gebiet der Heimatkunde. Es passiert mir das mir beim kritischen Überarbeiten solcher Artikel sehr schnell auffällt in welch tiefer Armut und Ausbeutung jene Menschen lebten und ihr ausgesetzt waren die Berufe wie Holzhauer, Harzbrenner, Köhler oder Holzschuhmacher ausübten. Dann bin ich ganz schnell bei der Jahreszahl 1832, nämlich in jenem Jahr als das Hambacher Fest stattfand. Zum ersten Mal wurden Fahnen in Schwarz-Rot-Gold geschwenkt und die Teilnehmer forderten die Einigung Deutschlands und sprachen sich für ein neues Europa von vereinigten und friedlichen Volkern aus. Diese Demonstration in der Pfalz steht für die Einheit Deutschlands und für die Wiege der europäischen Demokratie, deren Geist durch Pfälzer Auswanderer in die „neue Welt“ getragen wurde und somit auch die amerikanische Demokratie aufs Tiefste beeinflusste. Als Pfälzer kann ich das Hambacher Fest aus den Blickwinkeln der Heimatgeschichte als auch der Weltgeschichte betrachten. Es ist letztendlich nur eine Frage des Bewusstseins. Ein Bewusstsein das heimatliches geschehen mit dem Geschehen der Weltgeschichte verbinden kann, ist ein kosmopolitisches Bewusstsein.

Für den großen deutschen Geschichtsphilosophen Georg Friedrich Wilhelm Hegel, wird Weltgeschichte als „Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“ begriffen.

Die Geschichte ist bei Hegel also nichts anderes als die Entwicklung der Freiheit – „ein Fortschritt den wir in seiner Notwendigkeit zu erkennen haben“.

So ist auch die Beschäftigung mit der Heimatkunde eine Beschäftigung mit der Weltgeschichte. Denn Heimatkunde beruht durch die Erfahrung des interessierten Einzelnen auf diesem Gebiet zu seinem Lebensraum die dieser als Heimat betrachtet. So schließt Heimatkunde fast alle Wissensgebiete mit ein, nicht nur Geschichte sondern auch Kunst, Religion, Philosophie und Politik. Heimatkunde ist keine Einzelwissenschaft in diesem Sinne, sondern sie zieht die Einzelwissenschaften heran um sie zu einem Ganzen zu vervollständigen, ähnlich einem Gesamtkunstwerk. Sie wendet sich der heimatlichen Umgebung zu, aus der ja für den heimatkundlich Interessierten die Impulse hervorgehen, aus denen er erkennt das Heimatgeschichte auch immer Weltgeschichte ist. Jener Ort und jene Landschaft die wir als Heimat bezeichnen und mit der wir uns heimatkundlich beschäftigen ist ja ein Teil vom Ganzen, von jenem Ganzen, das Hegel als „Weltgeist“ bezeichnete. Lassen wir uns von diesem Ausdruck „Weltgeist“, nicht befremden. Hegel meinte damit weder etwas gespensterhaftes noch esoterisches er meinte das direkte Gegenteil, nämlich – das Vernünftige. Jenes Vernunftprinzip das im Gang der Geschichte „zu sich kommt“.

Ich selbst sehe in der Beschäftigung mit der Heimatkunde diese auch als Geburtshelferin für lebendige Weltgeschichte. Heimatkunde besitzt etwas lebendiges, sie ist nicht abstrakt, denn der Heimatkundler, bewegt sich ja täglich durch diese lebendige Geschichte in dem er den Zeugnisseen dieser Geschichte täglich im Ort und der Landschaft in der er lebt gegenübertritt.

Das viele Schüler heute Geschichte als langweilig empfinden hängt zweifelsfrei auch damit zusammen das man das Schulfach Heimatkunde einfach abschaffte. Denn wie kann man den besser Kinder an ein kritisches Geschichtsbewusstsein heranführen als durch das Fach Heimatkunde?

Der heimatgeschichtlich Interessierte begegnet durch seine Beschäftigung mit der Kultur seiner Heimat, dem, was Hegel das „Ganze“ genannt hat. Nach Hegel ist ein richtiges Verständnis der „ganzen Geschichte“ nur möglich, wenn am wie oben bereits kurz erwähnt, erkennt, dass auch Kunst und Religion, Philosophie und Sozialwissenschaften kein zeitloses absolutes Reich bilden sondern sich in der (vor allem) Heimat – und Weltgeschichte entfalten und gegenseitig bedingen. Es besteht also eine Wechselwirkung von Heimatkunde und Weltgeschichte, denn alles beginnt schließlich im kleinem.

So möchte ich auch keineswegs unser heimatliches Schrifttum gegenüber historischen Büchern geschmälert sehen. Für mich steht August Becker neben einem Toynbee oder Spengler. Aber auch die Beiträge interessierter Laien und Heimatforscher, Artikel aus Tageszeitungen, Broschüren und Ortschroniken können den Geist Hegels atmen. Die „Weltgeschichte“ bildet das Hauptthema der Hegelschen Philosophie. Jeder Augenblick gewinnt sein –Sein-nur dadurch, das er das Sein des vorhergehenden in sich aufnimmt. Die volle Verwirklichung des objektiven Geistes vollzieht sich in der Weltgeschichte sagt Hegel.

Doch der Weg zur Geschichte überhaupt beginnt in der Heimatgeschichte, also in der Kunde über unsere Heimat.

hukwa