Mittwoch, 12. September 2012

Der Baum im deutschen Gedicht


Gedichte und Stimmen zu einem Thema
eine Betrachtung von Hans Wagner

Sag ich’s euch, geliebte Bäume ?
Die ich ahndevoll gepflanzt,
Als die wunderbarsten Träume
Morgenrötlich mich umtanzt.
Ach, ihr wisst es , wie ich liebe ,
Die so schön mich wiederliebt
Die den reinsten meiner Triebe
Mir noch reiner wiedergibt.

Wachset wie aus meinem Herzen ,
Treibet in die Luft hinein ,
Denn ich grub viel Freud und Schmerzen
Unter eure Wurzeln ein.
Bringet Schatten traget Früchte ,
Neue Freude jeden Tag :
Nur dass ich sie dichte , dichte ,
Dicht bei ihr genießen mag.
                                                     Johann Wolfgang Goethe

Es gibt verschiedene Weisen, die Wirklichkeit zu sehen und zu erfassen. Darin tritt
zutage, was der Mensch von seiner Umwelt erwartet , wie er sie befragt. Die Natur
hat für alle nur möglichen Fragen eine Antwort bereit. Sie begegnet dem Menschen von Heute anders als seinen Vätern. Diese sahen in ihren großen harmonischen Ordnungen die bergende , einhüllende Schale , in deren Mitte der Mensch einge –
bettet war. Die unendlichen Räume des Kosmos erschienen als Himmel – und Sternenzelt , Sonne und Mond als Licht und Lampe eines friedvoll in sich ruhenden Erdentages und die Erde als mütterlicher Boden eines fruchtbaren Lebens , das sich im Tode immer wieder erneuert.
„ Die Baumgestalt steht sinnbildhaft für die Menschengestalt. Ja mir will scheinen , dass ein Baum wie ein lebendiges Wesen zu uns spricht : In mir ist ein Kern , ein Funke , ein Gedanke verborgen , ich bin Leben vom ewigen Leben. Einmalig ist der
Versuch und Wurf , den die ewige Mutter mit mir gewagt hat , einmalig ist meine Gestalt und das Geäder meiner Haut , einmalig das kleinste Blätterspiel meines Wipfels und die kleinste Narbe meiner Rinde. Mein Amt ist , im ausgeprägten Einmaligen das ewige zu Gestalten und zu zeigen. „ So schrieb Hermann Hesse. Und der naturkundige Dichter Friedrich Schnack sagte : „ Das Auge erfreut sich am
Anblick der grünen Bilder und Weltfestlichen Gestalten , an ihren Laubflammen , den Flut und Wogenfällen der Wipfel , der entrückten Haltung gewaltiger Baum –
leiber , den Erd und Himmelstänzen ihrer Hölzernen Glieder... Wo Bäume wachsen,
ist die Erde gastlich. Herberge sind sie , Wirtshäuser , luftige Wohnungen , Stuben und Türme , grüne Burgen und Laubschlösser , Nester für Vögel und Tiere , Verstecke für Buben. Kühle und Schatten spenden die Wipfel. Ihr Laubdach ist das
Urbild jeden Obdachs.“


Ina Seidel klagt in ihrem Gedicht „ Versäumnis „ :

Viel zu wenig kenne ich die Bäume,
Die vor meinem Fenster stehen und rauschen.
Viel zu selten baun sich meine Träume
Nester , um die Winde zu belauschen.
Und des Himmels Silberwolkenspiele
Gehen vorüber ohne mich zu Trösten
Ganz vergessen habe ich so viele
Wunder , die mir einst das Herz erlösten.

Hier tritt der Baum als Heiler auf. Jeder Baum ist ein Baum des Lebens. Die Ur – Alten unter ihnen sind wahre Medizinbäume. Gegen sie wirkt ein Menschenleben kurz und bedeutungslos. Deutschlands ältester Baum ist die berühmte Feme-Eiche
bei Bocholt im nördlichen Münsterland , die auf rund 1300 Jahre geschätzt wird.
Als Europas ältester Baum, gilt die berühmte Eibe bei Fortingall in Schottland , die
nahezu 3000 Jahre alt sein soll. Messungen an den herrlichen Beständen der Riesen – Mammutbäume in der kalifornischen Sierra Nevada ergaben für einzelne der dickstämmigen Giganten ein Alter von über 3000 Jahren. Als die ältesten heute
noch stehenden Mammutbäume aus den Samen keimten , ging in Mitteleuropa gerade die Bronzezeit zu ende. Die ältesten , noch lebenden Bäume der Erde sind krüppelige und verwachsene Grannen-Kiefern. Sie verdanken ihr Alter von über 4000 Jahren ( nachgewiesenes Höchstalter 4700 Jahre ) möglicherweise der Tatsache , das sie an ihrem Hochgebirgsstandort in der Sierra Nevada die längste Zeit des Jahres vereist bei Tiefkühltemperaturen zubringen müssen.
Bis in den Wurzelgrund der Bäume dringt Fridolin Hofer vor , wenn er in seinem
Gedicht „ Baumwurzeln „ schreibt :

Sie langen tief hinab ins Land der Stille,
In das kein Lied je dringt aus Freilichtzweigen
Und das Gezirp der lauten Sommergrille
Wie tonlos tröpfelt in das große Schweigen.

Nur wann im Tag die wilden Stürme brausen
Und Stämme sich und Kronen ächzend recken ,
Geht es wie dumpfes , schütternes Erschrecken
Durch ihre nachterfüllten Bodenklausen.

Und tiefer drängt die Wurzel nur Verlangen ,
Sich einzuwühlen, in den Schoß der Erde ,
Dass ihnen alle , alle Süße werde
Wie Kinder die an Mutterbrüsten hangen.

Wie herrlich ruht es sich an glühendheißen Sommertagen im Schatten des Buchenwaldes. Lebenden Säulen gleich steigen die glatten , grauen Stämme empor.
Ihre dichtbeblätterten Kronen verwehren dem grellen Himmelslicht den Zutritt zum Waldesgrund. Nur da und dort dringen durch Lücken des Laubwerkes vereinzelt Sonnenstrahlen und rieseln über Stämme und Blätter hernieder wie flüssiges Gold oder Tanzen als kleine Sonnen über den Waldboden dahin. Neben den alten Bäumen streben die Stämme junger Buchen zur Höhe. Noch ist es ihnen nicht vergönnt , mit ihren Wipfeln den blauen Himmel zu grüßen ; dafür strecken sie ihre unteren Äste nach allen Seiten weit aus , um im Halbdunkel so viel Licht wie möglich aufzufangen.

So lässt Theodor Däubler die Buche sprechen :

Die Buche sagt : Mein Walten bleibt das Laub.
Ich bin kein Saum mit sprechenden Gedanken ,
Mein Ausdruck wird ein Aste Überranken ,
Ich bin das Laub , die Krone überm Staub.

Dem warmen Aufruf mag ich rasch vertrauen ,
Ich fang im Frühling selig an zu reden ,
Ich wende mich in schlichter Art an jeden.
Du staunst den ich beginne rostig braun !

Mein Waldgehaben zeigt sich Sommerfroh.
Ich will , das Nebel sich um Äste legen ,
Ich mag das Nass , ich selber bin der Regen.
Die Hitze stirbt , ich grüne Lichterloh !

Die Winterspflicht erfüll ich ernst und grau.
Doch schütt ich erst den Herbst aus meinem Wesen.
Er ist noch niemals ohne mich gewesen.
Da werde ich Teppich samt rote Au.

Doch nicht nur den Buchenwald besang Theodor Däubler auch die Fichte hatte es ihm angetan. Dunkel und duster ist der Fichtenwald. Wer in einem Fichtenhain Zuflucht vor Stress und Hektik sucht , wird in der Regel mit dem Lied der Amsel
belohnt.

Die Fichte  von Theodor Däubler

Der Fichte nächtlich sanftes Tagbetragen
Belebt Geschickeswürde kühn im Wald.
Kein Zweiglein kann in ihrer Waltung zagen,
Die ganze Nacht gibt ihrem Atem halt.

Es scheint ein Stern an jedem Ast zu hängen.
Des Himmels Steile wurde erst im Baum.
Wie unerklärt sich die Gestirne drängen !
Vor unserm Staunen wächst und grünt der Raum.

Ihr himmlisches Geheimnis bringt die Fichte
Den Blumen , unsern Augen fürstlich dar,
Ihr Sein erfüllte sich im Sternenlichte
Sie weiß bei uns das Friede sie gebar.

Was soll der Weltenwind im samt Geäste ?
Die Fichte weicht zurück und spendet Rast.
Ein Baum der alle Sterne an sich presste ,
Bleibt groß und segnet uns als großer Gast.




Von je sind Bäume unseren Vorfahren heilig gewesen, die Liebe , die Beziehung zu Bäumen ging so weit das Baumfrevel mit schweren oft grausamen Strafen gesühnt
worden ist. Einen Baum Niederschlagen konnte dem Morde an einem Menschen
gleichgesetzt werden. So empfand auch noch der junge Goethe , Werther , als er hörte, das die beiden hohen Nussbäume des Pfarrhofs , auf Befehl der neuen Pfarrerin abgehauen worden waren , konnte sich nicht fassen : „ Abgehauen „ ! Ich möchte toll werden , ich könnte den Hund ermorden , der den ersten Hieb daran tat“... In dem leidenschaftlichen Ausbruch des jungen Goethe klingen noch der Zorn und das Entsetzen über die Untat nach , die es für unsere Vorväter war , wenn die Sendboten des neuen Gottes die heiligen Bäume und Haine umschlugen. Denn wer ist nicht bei Eintritt in einen heiligen Wald von Schauer überfallen worden ? Schon den Knaben hatte, wie Dichtung und Wahrheit erzählt , das heilige Geheimnis des Waldes angezogen , und als er das einem älteren Freunde gestand , war es für ihn eine Offenbarung , zu hören , dass die Germanen ihre Götter in Wälder wohnend gedacht , Bäume ihren Götter geweiht hatten. „ Gewiss , es gibt keine schönere Gottesverehrung als die , zu der man, kein Bild bedarf , die bloß aus dem Wechsel-
gespräch mit der Natur in unserem Busen entspringt. „
Ihre Furcht , die Götter durch menschenähnliche Bilder zu entgöttern , hatte die
Germanen Wälder und Bäume als Heimstatt der Götter und Offenbarungsmittler
ihrer Gegenwart verehren lassen. Nur so glaubten sie auch , die Natur in ihrer allwaltenden Kraft und ihrem Geheimnis ahnend begreifen zu können , und es hing mit diesem ihrem Glauben zusammen , das sie sich dass Weltall als einen immer –
grünen, mächtigen Baum vorstellten.

Eine Esche weiß ich,
heißt Ygdrasil,
ein hoher, heiliger Baum,
besprengt mit weißer Nässe.
Von dort kommt der Tau,
der in die Täler fällt.
Immergrün steht er
über dem Brunnen der Urd.

Gerade am Beispiel der Esche des Weltenbaums der Germanen lässt sich wunderbar darstellen wie die Liebe zu den Bäumen das Weltbild der Germanen
prägte. Die Esche ist wahrhaft mythologisch verzweigt :


DIE  ESCHE  Fraxinus excelsior

Baum des Jahres 2001  Legenden , Mythen eine Betrachtung
von Hans Wagner

Das Kuratorium – Baum des Jahres – in Berlin wählte die Esche und begründete seine Entscheidung mit der Einmaligkeit der Baumart , „ die viele botanische und
ökologische Besonderheiten und Rätsel aufweist „ . Die Esche ist ein Ölbaumge –
wächs und kann bis zu 40 m hoch werden. Sie ist vor allem an den schwarzen , zwiebelspitzigen Knospen, ihren gefiederten Blättern und der silbrigen bis asch –
grauen Rinde zu erkennen. Ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich über ganz Europa
bis nach Vorderasien. Wenn viele unserer einheimischen Bäumen, schon ihr neues
Blattkleid tragen, trägt die Esche oft noch kein einziges Blatt. Dies ist auf ihre Frost-
empfindlichkeit zurückzuführen. Sie wartet ab bis auch tatsächlich kein Frost mehr
zu erwarten ist. Wohl deshalb schrieb die Baum – und Kräuterkundige Hildegard v.
Bingen mit Recht : „ Sie ist ein Sinnbild der besonnenen Einsicht „. Wenn sie dann im April oder Mai ihre schwarzen Knospen sprengt , hängen kleine, violette Blüten-
büschel heraus, die ihre Bestäubung dem Wind anvertrauen. Bei der Esche gibt es
männliche, weibliche und gemischt –geschlechtliche Bäume.
Das Holz der Esche ist hart, zäh und besonders elastisch. Schon in der Antike verwandte man es zur Herstellung   von Handwaffen wie Armbrüste, Speere, Lanzen und Bögen. Der bekannteste Eschenholzspeer ist der des Kentauren Chiron.
Diese Sagengestalt halb Mensch, halb Pferd bewohnte den sagenumwobenen Berg
Pelion in Thessalien. Auf diesem heiligen Berg wuchsen die berühmten Eschen und
Eichen, eine davon fällte Chiron und fertigte daraus jenen Speer, mit dem Achilles
 Hektor besiegte. Natürlich ist die Esche auch im Keltischen Baumalalphabet ver –
treten. „ Nion „ hießen Baum und Laut. Sie war eines der Symbole für Nacht und wasser. Was uns nicht zu wundern braucht, denn die Esche liebt feuchte Standorte.
Die Eschen gaben den Kelten Schutz vor der zerstörerischen Kraft der Wasser –
Dämonen. Die Druiden benutzten Eschenholz als Regenzauber. In der germanischen Mythologie ist die Esche der wichtigste Baum – hier steigt sie zum Weltenbaum empor. Ygdrasil-so wird die  Esche in der germanischen Mythologie genannt – ist der schönste aller Bäume und heiligste der Germanen. Seine Zweige erstrecken sich über alle Welten hinaus und erreichen den Himmel. Er hat drei Wurzeln die ihn aufrecht erhalten; sie sind außergewöhnlich groß. Eine taucht in den Äsir, die Unterwelt der Asen, der Götter hinunter, die zweite zu den Frostriesen
den Vorgängern, der Menschen, die dritte greift nach Niflheim, dem Reich der Toten. Bei dieser letzteren Wurzel entspringt der Brunnen Hvergelmir, die Quelle aller rauschenden Flüsse die, die Erde bewässern und sie für den Menschen be –
wohnbar macht. Neben der zweiten Wurzel sprudelt die Quelle von Mimir. Dem der
dort die Lippen netzt, schenkt sie Wissen und Weisheit, aber ihr Besitzer, dessen Name „ Meditation „ bedeutet, hat es verboten, sich ihr zu nähern; er selbst ist voll tiefsten Wissens, dass er täglich aus diesem Wasser schöpft. Unter der ersten Wurzel, die der Überlieferung zufolge entweder die unterirdische Behausung der Götter oder ihren himmlischen Wohnort erreicht – die übrigens durch Bifrost, den
Regenbogen verbunden werden-gibt es eine dritte Quelle, die heiligste von allen:
den Brunnen über den Urd die älteste der Nornen wacht. Als Hüterinnen der Ge –
setze und alten Bräuche sind nur die Nornen in der Lage, die Geschicke der Menschen und sogar der Götter selbst zu lenken, die nicht ewig sind und dem Los, das alle trifft, nicht entrinnen können. Ursprünglich war Urd, die älteste unter ihnen, deren Name Schicksal bedeutet, wahrscheinlich allein. Möglicherweise waren die Legenden von den drei spinnenden Nornen, als sie uns erreichten, schon
von den Moiren ( dem Personifizierten Schicksal ) und den Parzen der griechischen
und der römischen Mythologie beeinflusst. Wie diese stellten auch jene die drei Mondphasen-zunehmend-voll-abnehmend dar, deren Rhythmus das Leben der Natur bestimmt und die auch den drei menschlichen Lebensaltern, Jugend, Reife, Alter entsprechen. Jeden Tag schöpfen die Nornen aus dem Brunnen Wasser und Schlamm und begießen damit die Esche, damit ihre Zweige weder vertrocknen noch
verfaulen. Was immer in die Quelle fällt, wird so weiß wie das Häutchen im Innern der Eierschale, das heißt, es kehrt zu seiner früheren Reinheit zurück, zu seinem Vorgeburtlichem Ursprung.Dieses Makellose Weiß kleidet auch das paar Schwäne, die die Quelle bewohnen und von denen die Vögel dieses namens abstammen. Urds
Quelle ist also ein Jungbrunnen. Bei ihr versammeln sich die Götter, um Rat zu halten, Streitigkeiten zu schlichten und Recht zu sprechen.Dieser Schicksals –
brunnen verkörpert die Welt der Möglichkeiten, der Samen, der Keime, eine nächt-
liche Welt aus Wasser und Erde , aus der alle Lebewesen hervorgegangen sind.
wenn es Ygdrasil dank seiner Wurzeln den drei übereinandergeschichteten Reichen
dem der Götter, dem der prähistorischen Riesen und dem der Vorfahren des Menschen gestattet, an der Erdoberfläche zu erscheinen, so erstreckt sich der Stamm der Esche, durch das Zwischen Himmel und Erde gelegene mittlere Gebiet
das Midgart, wo die Menschen leben und ihr Wipfel erhebt sich bis zu Asgard, dem
Domizil der Götter. Trotz seiner Mächtigkeit ist der Kosmische Baum stets bedroht.
Die riesige Schlange Schlange Nioggrh nagt heimlich an der dritten Wurzel, wird aber selbst Tag für Tag vom Adler angegriffen, der in seinen höchsten Zweigen wohnt. Vier Hirsche kommen und gehen im Gezweige und fressen die jungen Triebe
kaum das sie erschienen sind. Ygdrasils Laub beherbergt noch weitere Tiere, die aber nützlich sind, so die Ziege Heidrun, die mit ihrer Milch Odins Krieger ernährt
oder das Eichhörnchen Ratatosk, das am Stamm hinauf und hinunterläuft und die
wechselseitigen Auseinandersätzungen zwischen Schlange und Adler vermittelt. Letzterer weiß viele Dinge und beobachtet von seinem hohen Standpunkt aus den
Horizont, um die Götter zu warnen, wenn ihre Uralten Widersacher, die Riesen, sich zum Angriff anschicken.In manchen Versionen sitzt ein goldener Hahn im Baumwipfel: er hat die selbe Aufgabe. Man könnte nicht, bilderreicher ausdrücken
 dass die Welt der Spielball in einem unablässigen Kampf zwischen den Mächten des Lebens und deren Zerstörung ist.
Nun ist der Kosmische Baum Heute aktueller denn je, denn gerade Heute, da die Katastrophale Ausmaße des Waldsterbens nicht mehr zu übersehen sind, ist es für
die Menschheit wichtig, wieder einen Bezug zu dem Wesen Baum aufzubauen. Und
die Esche ist in diesem Sinne ein wirklicher Lebensbaum.

Die Geschichte der deutschen Lyrik ist in erster Linie , eine Geschichte der Natur –
dichtung , den Baum finden wir , immer wieder als Mittelpunkt von Gedichten.
Oskar Loerke ist neben Wilhelm Lehman wohl der sprachgewaltigste unter den deutschsprachigen „ Bukolikern „.

Die Birke von Oskar Loerke

Es decken Auge , Ringe , Striche
Wie Götzendienst  indianerhaft
Mit Grau und Schwarz den Birkenschaft
Als ob er einer Seele gliche ,

In der ein alter Weihekult
Noch nicht verdarbt sei vor dem neuen.
Das Krongrün flüstert über scheuen
Und blinden Zeichen der Geduld

Das Laub summt für die stille Schar
Was wahr gewesen ist bleibt wahr.
Die Erde leitet das Geschehen
Mit Augen die ihr Licht nicht sehen.


In der Nachfolge Oskar Loerkes und seiner Pansmusik ( erschienen 1916 ) entsteht
schon in der Zeit kurz vor dem zweiten Weltkrieg eine neue Naturlyrik , die nichts mehr mit herkömmlicher, gefühlsbestimmter Naturpoesie zu tun hat , in der sich
Natur im Menschen „ Widerspiegelt „ . In dieser Dichtung wird Natur als eine mystisch-magische Kraft , als eine dem  Menschen fremde , ihn übersteigende höhere Lebensordnung erfahren , in der der Mensch nicht mehr das Maß ist ,
sondern nur noch Kreatur neben anderen Kreaturen. Der „ Mensch wandert in die
Wesen aus „ und möchte von der Kreatur eine Bestätigung seines Wesens erfahren:
„ Sprich mich wie den hagern Baum , singe du mich Starenschwamm. „ Die Dichtung Wilhelm Lehmans , des aus Holsteins stammenden Haupts dieser mehr im stillen wirkenden Naturlyrik , ist „ eine ununterbrochene Poesie von den inneren
Anschauungsformen der Natur , die von der äußeren Erscheinung jeweils bestätigt
werden müssen. „ So erscheinen die Worte in dem Gedicht „ Fliehender Sommer „ fast wie eine Beschwörungsformel an den Pappel Geist.

Fliehender Sommer

Marguerite , Marguerite
Weiße Frau in goldner Haube –
Erstes Heu wölbt sich zum Schaube
Kuckuck reist als er es sieht.

Pappel braust wie ein Prophet.
Aus dem vielgezüngten Munde.
Stößt sie orgelnd ihre Kunde.
Elster hüpft die sie versteckt.

Pappel , du in Weisheit grau ,
Diene ich dir erst zur Speise
Fall ich ein in eure Weise
Kuckuck , Elster , weiße Frau .

Und Günther Eich der sich später so ganz von der Naturlyrik Entfernende hat mit seinem Gedicht „ Ende des Sommers „ einen auch für unsere heutige Gegenwart
zutiefst bedeutenden Satz geprägt :

Wer möchte Leben ohne den Trost der Bäume !
Wie gut das sie am Sterben teilhaben !
Die Pfirsiche sind geerntet , die Pflanzen färben sich ,
während unter den Brückenbogen die Zeit rauscht.

Dem Vogelzug vertrau ich meine Verzweiflung an.
Er misst seinen Teil von Ewigkeit gelassen ab.
Seine Strecken
werden sichtbar im Blattwerk als dunkler Zwang ,
die Bewegung der Flügel färbt die Früchte.
Es heißt Geduld haben
Bald wird die Vogelschrift entsiegelt,
unter der Zunge ist der Pfennig zu schmecken.

Nach alter antiker Überlieferung ist der Pfennig das unter die Zunge gelegte Fahrgeld über den Todenfluß; bei Eich bedeutet er den Vorgeschmack des Todes.
Brücke, Tod und Baum findet man bei Eich auch in seinem Gedicht Weiden :


Die Weiden verwachsene Weiber ,
gebeugt mit zottigem Kopf ,
zerlumpt sind ihre Röcke
die Läuse nisten im Kopf .

Sie recken die dürren Arme
vereint zum Himmel auf.
Zu ihren verwurzelten Füßen
stockt der Wasserlauf.

Unter der Bohlenbrücke
liegt ertrunken ein Kind
aus faulenden Weidenstrünken
seine Glieder sind.

Ich weiß das die Weiden schreien
mitten im Sonnenlicht.
Ich gehe über die Brücke
und tue als hört ich es nicht.

Auch der Lärche begegnen wir im dichterischen Werk von Günther Eich :

Die Lärche gilbt unter den Nadelgeschwistern
sie birgt das lichte Haupt.
Die Schwermut hab ich in ihrem Gezweige
wie einen Geist zu sehen geglaubt.

Keinen Flügel hebt der Herbstwind den Samen
die Schuppen hüten ihn winterlos jung.
Im Astwerk bewahrt sie verjährte Zapfen
wie ich die taube Erinnerung.

Welcher Geist mag das Gezweige bewohnen ,
wenn es die Nacht mit Sternen belaubt ?
Unter dem vollen und schwindenden Monde
berge ich wie die Lärche das Haupt.

In seiner „ Wanderung „ schreibt Hermann Hesse : „ Bäume sind für mich immer die eindringlichsten Prediger gewesen. Ich verehre sie , wenn sie in Völkern und Familien leben , in Wäldern und Hainen. Und noch mehr verehre ich sie , wenn sie einzeln stehen. Sie sind wie Einsame. Nicht wie Einsiedler , welche aus irgendeiner Schwäche sich davongestohlen haben , sondern wie große vereinsamte Menschen ,
wie Beethoven und Nietzsche . In ihren Wipfeln rauscht die Welt , ihre Wurzeln ruhen im Unendlichen ; allein sie verlieren sich nicht darin , sondern erstreben mit aller Kraft nur das Eine : ihr eigenes , in ihnen wohnende Gesetz zu erfüllen , ihre
eigene Gestalt auszubauen , sich selbst darzustellen. „

Von Anfang an war das Schicksal des Menschen durch ein so enges und starkes Band mit dem der Bäume verknüpft , das man sich fragen muß , wie es einer Menschheit ergehen wird , die dieses Band brutal zerrissen hat. Wir täten gut daran
wenn wir überleben wollen , das wieder herzustellen , was wir zerstört haben.

Margarethe Hansmann wird in ihrem Gedicht , „ könnt ihr noch Wetterbuchen liefern „ zur Anklägerin :

Aber es werden Menschen kommen
denen das zeitauf , zeitab
der Fabriken gleichgültig ist
sie wollen nicht auf Märkten einkaufen
aber sie fragen
nach dem Millionen
Jahre alten Wind
ob ihr noch Vögel
Fische
Füchse
Sumpfdotterblumen
aufgehoben habt
wenn anderswo
alle Wälder zerstückelt sind
alle Städte über die Ränder getreten
alle Täler überquellen von Müll
Könnt ihr noch Wetterbuchen liefern ?
einen unbegradigten Fluß
Mulden ohne schwelenden Abfall ?
Hänge ohne Betongeschwüre ?
Seitentäler ohne gewinn ?
Habt ihr noch immer nicht genug ?
Einkaufzentren in Wiesen gestreut
Möbelmärkte zwischen Skabiosen
nicht genug Skilifte ohne Schnee
Nachschubstraßen für Brot und Spiele
Panzerschneisen hügelentlang
Fichtenschonungen auf der Albheide
wenn ihr die Schafe Aussterben lässt
stirbt der Wachholder.

Margarethe Hansmann wird zur Anklägerin , bei ihr wird Naturdichtung zur Ökolyrik , zum Protestgedicht . Immer mehr Stimmen werden laut eine Natur –
lyrik im Sinne eines Wilhelm Lehmann , Martha Saalfeld oder Johannes Bobrowski
sei heute nicht mehr angebracht. Nun mag die Naturlyrik auch zu den bedrohten
Bewusstseinarten zählen , solange es hier und da noch einen grünen Winkel , noch
eine Idylle gibt und sei es nur der letzte romantische Park – so lange wird Naturlyrik auch eine Existenzberechtigung haben. Natürlich muss Naturlyrik auch
kritischen Inhalts sein , doch wir würden verdorren , innerlich verdursten , würde
die Stimme der Natur , ihr orphischer Gesang verstimmen. In dieser Betrachtung
geht es nicht rein um das „ Überleben der Natur „ , das wird sie bestimmt , selbst
wenn die Erde einst menschenleer sein wird , hier geht es vor allem um die Daseins-
berechtigung von Natur.
Der Naturlyriker wird im Akt der Herstellung von der „ geschöpflichen Macht des
Daseienden „ überfallen. Er gibt sein eigenes Bewusstsein auf und geht mit seiner
Identität in die Natur über.
Hilfreich für die Betrachtung solcher Baumgedichte mag die Unterscheidung von natura naturans und natura naturata sein; die erste ist die schöpferische, die beseelte, die schaffende Natur, die zweite die geschaffene Natur.
Es war Schelling der die beseelte Natur in einem Gedicht so wunderschön und verständlich ausdrückte, wie es ihm in seinen theoretischen Abhandlungen nie gelungen ist.
Die Natur
„muss sich unter Gesetze schmiegen
ruhig zu meinen Füßen liegen.
Steckt zwar ein Riesengeist darinnen,
ist aber versteinert mit seinen Sinnen,
kann nicht aus dem engen Panzer heraus,
noch sprengen das eiserne Kerkerhaus,
obgleich er oft die Flügel regt,
sich gewaltig dehnt und bewegt,
in  toten und lebend`gen Dingen
tut nach Bewusstsein mächtig ringen-
Allmählich lernt er im kleinen Raum gewinnen,
darinn er zuerst kommt zum Besinnen.
In einen Zwergen eingeschlossen
Von schöner Gestalt und geraden Sprossen
Heißt in der Sprache Menschenkind,
der Riesengeist sich selber find`t
Vom eisernen Schlaf, vom bangen Traum
Erwacht sich selber, erkennend kaum,
über sich gar so verwundert ist,
mit großen Augen sich grüßt und misst.
Möchte`alsbald wieder mit allen Sinnen
In die große Natur zerrinnen,
ist aber einmal losgerissen,
kann nicht wieder zurückfließen
und steht zeitlebens eng und klein
in der eigenen großen Welt allein.
Fürchtet wohl in bangen Träumen,
der Riese könnt sich ermannen und bäumen
und wie der alte Gott Satorn
seine Kinder verschlingen im Zorn.
Denkt nicht, das er es selber ist,
seiner Abkunft ganz vergisst,
tut sich mit Gespenstern plagen,
könnt`also zu sich selber sagen:
Ich bin der Gott, der sich am Busen hegt,
der Geist, der sich in allem bewegt.
Vom ersten Ringen dunkler Kräfte
Bis hin zum Erguß der ersten Lebenssäfte,
wo Kraft in Stoff und Stoff in Kraft verquillt,
die erste Blüt, die erste Knospe schwillt,
zum ersten Strahl von neugebornem Licht,
das durch die Nacht wie zweite Schöpfung bricht
und aus den tausend Augen der Welt
den Himmel so Tag und Nacht erhellt,
hinauf zu des Gedanken Jugendkraft,
wodurch Natur verjüngt und sich wieder schafft,
ist eine Kraft, ein Pulsschlag nur, ein Leben,
ein Wechselspiel von Hemmen und streben.“